Gebärdensprache und Gehörlosenkultur

Viele Menschen vergleichen die Laut- und die Gebärdensprache miteinander und denken, die Gebärdensprache sei nur eine Verbildlichung der gesprochenen Sprache, d.h. die Worte seien sichtbar gemacht worden. Dies ist ein Irrtum! Linguisten auf der ganzen Welt konnten wissenschaftlich belegen, dass die Gebärdensprache über eine eigenständige Grammatik und ein spezifisches Lexikon verfügt und sie deswegen als eine vollkommen gleichberechtigte Sprache gegenüber den Lautsprachen anzusehen ist.
 
Ein weiterer Punkt, der oftmals missverstanden wird, ist die Universalität der Gebärdensprache. Es ist nicht korrekt, dass alle Gehörlosen auf der Welt die gleiche Sprache benutzen. In Wirklichkeit, gibt es viele unterschiedliche Gebärdensprachen, die sich unabhängig voneinander entwickelt haben. Darunter beispielsweise die Deutsche Gebärdensprache (DGS), die Amerikanische Gebärdensprache (ASL), die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) usw. Des Weiteren gibt es ebenso wie in der deutschen Lautsprache auch diverse Dialekte in der deutschen Gebärdensprache. Im Unterschied zur Lautsprache beschränken sich diese Dialekte nur auf einzelne Gebärden und nicht auf grammatikalische Strukturen.
 
Die Grammatik der Gebärdensprache ist komplex und ausdrucksstark. Mit ihr können alltägliche aber auch abstrakte Situationen besprochen, Witze erzählt und selbst Poesie vorgetragen werden. Dabei dient der Körper als Sprachinstrument. Hierbei sind verschiedene Komponenten wie beispielsweise die Handstellung, Bewegung, Ausführung der Gebärde, die Mimik, Kopf– und Körperhaltung bedeutungsrelevant. Da die Gebärdensprache eine visuelle Sprachmodalität ist, muss für die Interaktion miteinander der Blickkontakt gewährleistet sein, um sich verständigen zu können.
 
Orte an denen sich Gehörlose treffen und austauschen, dienen der stetigen Weiterentwicklung und Entfaltung der Sprache. Dazu zählen Clubs, Sportvereine, Internate, Stammtische oder auch die Gebärdensprachschule Hamburg. Es ist ebenfalls nicht unüblich neue Gebärden einzuführen, um so auf die kulturelle und technische Entwicklung zu reagieren. Die Gebärdensprache ist eine lebendige Sprache und spiegelt die Kultur und Traditionen der Gehörlosengemeinschaft wieder, welche ungefähr 80.000 Mitglieder umfasst. Aber nicht nur gehörlose Mitglieder zählen zu dieser Gemeinschaft, sondern auch schwerhörige, hörende und andere Personen, die sich mit der Sprache und der Gehörlosenkultur identifizieren. Dies entspricht ungefähr 5 % der Gesamtbevölkerung Deutschlands.
 
Seit dem Behindertengleichstellungsgesetz von 2002 ist die Deutsche Gebärdensprache (DGS) in Deutschland offiziell als eigenständige Sprache  anerkannt. Dies ist ein Meilenstein in der Geschichte der Gehörlosen. Vor der Anerkennung wurden an den Gehörlosenschulen größtenteils mit Hilfe des oralistischen Lehransatzes Unterrichtsinhalte vermittelt. Dieser zielte ausschließlich darauf ab, den Gehörlosen die Lautsprache beizubringen, welches ein großes Wissensdefizit der Schüler zur Folge hatte, aufgrund der Tatsache, dass nur Bruchstücke von Lerninhalten vom Mund abgelesen werden konnten. Seit der offiziellen Anerkennung haben Gehörlose und Schwerhörige ein Recht darauf, die DGS zu benutzen und eine/n DolmetscherIn zur Übersetzung bei Gerichts– oder Arztterminen etc. an ihrer Seite zu haben.
Die Gehörlosengemeinschaft setzt sich weiterhin dafür ein, dass Gesetze nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landesebene verabschiedet werden und auch im schulischen Bereich die Gebärdensprache zukünftig (z.B. als Wahl-Schulfach) fest etabliert wird.

Weblink:

Annika Pabsch, „Gebärdensprache in deutschen Gesetzen“,
http://gehoerlosen-bund.de/dgb/index.phpoption=com_content&view=article&id=1544%3Adie
gebaerdenspracheindeutschengesetzen&catid=83%3Ameinkind&Itemid=129&lang=de, 11.10.21012
 
Literatur:

Beecken/Keller/Prillwitz/Zienert, Grundkurs Deutsche Gebärdensprache, Arbeitsbuch, DGS-Grundkurs Stufe I, 2002, ISBN: 3-92-7731-69-2